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Aufarbeitung

Blick zurück:
Januar 2010 und fast 15 Jahre Bemühen um Aufarbeitung und Prävention

Der Januar eines jeden Jahres lässt uns an den Tag erinnern, an dem Pater Klaus Mertes SJ (Rektor des Canisius-Kollegs von 2000 bis 2011) seinen Brief am 19.01.2010 an ehemalige Schüler*innen schrieb. Am 19. Januar 2010 löste dieses Schreiben die Aufklärungswelle über den Missbrauch von Schülern am Canisius-Kolleg in den 1970er und 1980er Jahren aus. Der Mut der Betroffenen zu sprechen, dass ihnen ernsthaft zugehört und Verantwortung übernommen wurde, ermöglichte die umfassende Aufklärung durch zwei unabhängige Untersuchungen.

Die Untersuchungs- und Aufarbeitungsberichte der Rechtsanwältin (RA) Frau Ursula Raue (war seit 2007 als externe unabhängige Ansprechperson des Jesuitenordens zu Fragen sexueller Übergriffe beauftragt; Autorin des ersten unabhängigen Untersuchungsberichtes) und Frau Andrea Fischer (ehem. Bundesministerin für Gesundheit, Verfasserin eines zusätzlichen unabhängigen Berichtes) finden Sie, soweit Sie das Canisius-Kolleg betreffen, auf dieser Seite. Den kompletten Bericht von Frau Raue und Weiterführendes in diesen Fragen den Jesuitenorden betreffend, finden Sie auf der Homepage der Deutschen Provinz der Jesuiten:

Bestürzung und Trauer über das, was hier unter dem Dach des Ordens an Verbrechen gegenüber Kindern geschah, und über die Versäumnisse der Ordensleitung werden die Jesuiten und unsere Ordensgemeinschaft noch lange Zeit bewegen und beschäftigen. Es ist das dunkelste Kapitel der Kollegsgeschichte. Und der Orden ist nicht mehr derselbe und darf nicht mehr derselbe sein wie zuvor. Die beiden Initiativen – das Sprechen der Betroffenen und das Zuhören und die Übernahme der Verantwortung durch den damaligen Rektor des Kollegs – haben in ihrer Unterschiedlichkeit gleichermaßen einen Kulturwandel initiiert und zu Konsequenzen geführt.

Blick nach vorn:
Schutz und Intervention

Es bedarf einer sicheren und schützenden Umgebung, dass Kinder und Jugendliche sich frei und ungestört entwickelnd dürfen. Die Haltung einer permanenten kritischen Reflexion ist erforderlich für eine Kultur wertschätzender Achtsamkeit. Je “wacher” wir hier als Pädagogen*innen, Seelsorger*innen und alle im schulischen Kontext Wirkenden sind, umso aufmerksamer können wir körperliche und seelische Verletzungen identifizieren und ihnen entgegenwirken. Wir sehen es zwar als eine wichtige Aufgabe an, allen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, ein gutes Gespür für sich und ihre Grenzen zu entwickeln. Gleichwohl liegt die Schutzpflicht immer bei den Verantwortlichen.

In einigen Einrichtungen des Ordens liegt die zweite „Generation“ von Interventions- und Präventionsrichtlinien vor. Externe Ansprechpersonen zu Fragen und bei Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt wurden vom Orden bestellt. Schulleitung und Kollegium reflektieren ihre Arbeit kontinuierlich und bemühen sich um ein schützendes Schulklima in dem Achtsamkeit, Konflikt- und Kritikfähigkeit und eine wertschätzende Kommunikationskultur immer wieder eingeübt werden sollen.

Im Rahmen des Aufarbeitungsprozesses haben wir in den letzten 10 Jahren am Canisius Kolleg ein Präventionskonzept entwickelt, das Schüler*innen in unterschiedlichen Bereichen stärkt und das immer wieder reflektiert und regelmäßig angepasst wird. Über die Prävention von sexualisierter Gewalt hinaus geht es uns dabei auch um grundlegende Fragen des sozialen Lernens: das Lernen, eigene Grenzen zu wahren und die anderer zu achten; es geht uns auch darum, dass Schüler*innen  möglichst viele geeignete Ansprechpersonen in der Schule und jenseits der Schule kennen lernen, damit sie stets einen Weg finden, sich Rat und Hilfe zu holen. Deshalb führen wir mit den Schüler*innen Präventionsveranstaltungen auch in Beratungsstellen außerhalb der Schule durch.

Konkrete Maßnahmen im Schulalltag

Das schulische Präventionskonzept wurde in “zweiter Generation” 2015 verabschiedet und hat die Stärkung der Persönlichkeit zum Ziel, will Achtung und Kritikfähigkeit fördern. Das Konzept ist im curricularen Schulalltag implementiert. Die Veranstaltungen richten sich an Schüler*innen, Lehrkräfte und Eltern. Das Präventionskonzept des Kollegs formuliert zudem klare Verhaltensanweisungen für Mitarbeitende und das Recht der Schüler*innen.

Veranstaltungen für Schüler*innen

Jedes Schuljahr werden sieben Präventionsveranstaltungen für etwa 630 Schüler*innen der Klassenstufen 5 bis 10 durchgeführt. Einzigartig am Canisius-Kolleg ist die Zusammenarbeit mit externen Beratungsstellen in Berlin. Sie sind hier wichtige Kooperationspartner in Fragen der Prävention sexualisierter Gewalt, weil diese Einrichtungen “betroffenenkontrolliert” sind und die Schüler*innen direkt durch sie geschult werden. Hierzu gehören: Besuch in einer Beratungsstelle zur Prävention sexualisierter Gewalt (5. Klassen), soziales Lernen (6. Klassen), betroffenenkontrollierte Beratungsstellen für Mädchen und für Jungen (8. Klassen), Klassenstunden und Klassenrat zum Thema Mobbing – alle zwei Jahre “Contigo-Tag”.

Veranstaltungen für Mitarbeiter*innen

Alle neuen Lehrer*innen sind verpflichtet an der für die Schulen im Erzbistum Berlin konzipierten Präventionsveranstaltung teilzunehmen. Seit 2010 finden Vorträge und Werkstatttagungen der Mitarbeiterschaft zu verschiedenen Themen der Prävention sexualisierter Gewalt statt. Seit 2018 sind die Präventionsveranstaltungen des Kollegs mit denen des Erzbistums Berlin abgestimmt. So wurde für das Schuljahr 2019/2020 eine entsprechende Tagesveranstaltung für 71 Lehrer*innen durchgeführt.

Erweiterung des Präventionskonzeptes

Im Oktober 2019 wurde die Stelle einer Kinderschutzbeauftragten eingerichtet (vgl. Kinderschutzfachkraft nach VIII, 8. SGB). Die Beauftragte für Kinderschutz handelt den jeweiligen Gremien und Leitungen der Schule gegenüber unabhängig und im Sinne der Schutzbefohlenen Kinder und Jugendlichen und ist für die Eltern und Lehrer*innen ansprechbar.

Seit Spätsommer 2021 werden das Präventionskonzept einer Evaluation und Begutachtung durch zwei unabhängige, externe Beauftragte unterzogen, um hieraus Maßnahmen zur Änderung des Schutzkonzeptes abzuleiten. (U.a. im Bezug auf räumliche Gegebenheiten, Verhaltensleitlinien der Verantwortungsträger/-innen, sexualpädagogische Konzepte, Curriculum für das soziale Lernen, Präventionsveranstaltungen etc.). Am Prozess werden alle Mitarbeitenden, die Lernenden und die Eltern beteiligt.

Preis für Zivilcourage und Engagement

Seit 2016 loben die Jesuiten am Canisius-Kolleg zum Schuljahresende den Friedrich Spee-Preis für ziviles Engagement und Zivilcourage aus. Es werden junge Menschen geehrt, die in ihrem Alltag hingeschaut haben statt wegzusehen, die gesprochen haben statt zu schweigen, die Verantwortung übernommen haben statt nichts zu tun. Damit hält das Canisius-Kolleg die Erinnerung wach an den Mut der Betroffenen und der Kollegsleitung 2010 das Schweigen zu brechen an die Öffentlichkeit zu gehen.

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